Wissenschaftsfeindlichkeit: zunehmender Vertrauensverlust für das gesellschaftliche Subsystem Wissenschaft

So sehr die Sozialen Medien einerseits im Sinne einer großen und historisch einmalig ermächtigenden Kulturleistung bislang sprachlosen, oft auch unterdrückten Menschen in aller Welt grenzüberschreitend Gehör verschafft haben, so sehr haben sie andererseits auch die bisher geltenden Maßstäbe für gehaltvolle Kommunikation verschoben.

Mit der per Mausklick möglichen Vernetzung in Gesinnungsgemeinschaften hat das Internet als öffentlicher Debattenraum eine ebenso nie zuvor beobachtbare Veränderung der Sprachkultur erlebt, durch die vor allem auch ideologisierte Meinungen und unbelegte Behauptungen mit ihren simplifizierenden Botschaften großflächig und in Windeseile verteilt werden können.

Die damit ausgelöste Segmentierung des Meinungsspektrums mündet in unzählige Filterblasen, in denen nur noch das enge eigene Weltbild Bestand hat. In derart verhärteten Konstellationen ist der offene Blick über den geistigen Tellerrand oft nicht mehr möglich.

Von der "Lügenpresse" zur Anfeindung der Wissenschaft
Was mit der Ablehnung des traditionellen Medienmodells begann, in dem seriöse Gatekeeper wichtige Informationen nach eingehender Recherche und vielen Checks and Balances für eine breite Öffentlichkeit vorsortierten, und seinen geflügelten Ausdruck in einer Beschimpfung als „Lügenpresse“ fand, setzte sich dann unter den schwierigen gesellschaftlichen Verhältnissen einer weltweiten Pandemie mit Eingriffen in die Privatsphäre der Menschen auch gegen das Expertentum in der Wissenschaft fort.

Viele werden sich vielleicht fragen, wie das gesellschaftliche Subsystem Wissenschaft mit seinem gerade bei der Eindämmung der weltweiten Pandemie gezeigten hohen Leistungsvermögen während der letzten zwei Jahre in einen zunehmenden Vertrauensverlust schlittern konnte.

Zum einen hat die Krisensituation der öffentlichen Gesundheit Wissenschaftler der Disziplinen Virologie und Pandemieforschung als auserwählte Vertreter der Politik vielfach vor den öffentlichen Vorhang geholt. Wer mit den getroffenen Maßnahmen der öffentlichen Verantwortungsträger nicht einverstanden war, hat in diesem Moment auch die zu Hilfe gerufenen Wissenschaftler missbilligt.

Zum anderen wurden die wissenschaftlichen Statements schlecht kommuniziert, da nicht offengelegt wurde, wie der Prozess der Erkenntnisgewinnung ablief, der letztlich zu bestimmten Einsichten führte. Aber auch viel grundsätzlicher ist das System Wissenschaft anscheinend in der breiten Öffentlichkeit häufig unverstanden.

Ausgangspunkt: Eurobarometer
Mit der im Vorjahr veröffentlichten Eurobarometer-Umfrage zur Wissenschaftsskepsis wurden die diesbezüglichen Befürchtungen in Österreich bestätigt. Die Wissenschaftsskepsis, manchmal sogar eine radikale Wissenschaftsfeindlichkeit, tritt hierzulande öfter zu Tage als anderswo in Europa.

Eine weit verbreitete und tief wurzelnde Wissenschaftsskepsis befördert, wie es Dr. Thomas König vom Institut für Höhere Studien formuliert[1], zentrale Probleme, die den Staat und die Gesellschaft als Ganzes gefährden. Mit ihr wird die Legitimität untergraben, die Wissenschaft und Forschung als öffentlich finanziertes Gut zur Lösung anstehender gesellschaftlicher Herausforderungen unter Beweis stellen muss.

Demokratische Prozesse in Gefahr
Wenn es nicht gelingt, die Notwendigkeit von Wissenschaft überzeugend zu argumentieren, leidet darunter auch die wirtschaftliche, industrielle, technologische und soziale Standortqualität, was sich Österreich als hoch entwickeltes Land nicht leisten kann.

Und: Vielleicht sogar am gefährlichsten ist Wissenschaftsskepsis für den Fortbestand demokratischer Prozesse. Wenn pluralistische Gesellschaften in ihren Willensbildungsprozessen bei der Suche nach mehrheitsfähigen Wahrheiten beeinträchtigt werden, gerät der Demokratie-Motor zweifellos ins Stocken.

Was bedeuten diese Befunde für die Wissenschaft, und wie kann sie Vertrauen in die Qualität ihrer Prozesse wiederherstellen und jene öffentliche Bedeutung zurück reklamieren, die ihr eigentlich zusteht? Das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF) hat beim Institut für Höhere Studien eine Studie in Auftrag gegeben, welche die Ursachen der Wissenschaftsskepsis detailliert herausarbeiten soll. Auf die Ergebnispräsentation darf man gespannt sein.

OVE-Newsletter mit 3 fundierten Beiträgen
Mit dem vorliegenden Newsletter haben wir uns ebenfalls dieser hoch brisanten Thematik angenommen und konnten für die aktuell so wichtige Diskussion über Wissenschaftsskepsis, die mit täglichen Angriffen von Verschwörungstheoretikern und auch selbst ernannten Endzeit-Apologeten täglich eine neue Hochkonjunktur erlebt, vier namhafte Wissenschaftler gewinnen.

Dr. Ernst Andreas Hartmann, Forschungsdirektor am VDE/VDI-IT Berlin beschreibt in seinem Beitrag „Wissenschaftsfeindlichkeit – was ist das, und was kann man tun?“ die Faktoren, die eine Wissenschaftsfeindlichkeit begünstigen und zeigt auf, wie mit der Förderung von kritischem, reflektierendem und analytischem Denken antiwissenschaftlichen Überzeugungen entgegengewirkt werden kann.

Die beiden Autoren des Instituts für Höhere Studien in Wien, Dr. Erich Griessler und Dr. Johannes Starkbaum, die im Auftrag des BMBWF auch die zuvor erwähnte Studie erstellen, relativieren in ihrem Beitrag „Wissenschaft und Gesellschaft – es braucht eine unaufgeregte Debatte“ die Ergebnisse des Eurobarometer Surveys, da Antworten zu unterschiedlichen Themenfeldern durchaus ein differenzierteres Bild zeigen.

Danach erläutern sie das vielschichtige Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft und die keineswegs neuen Spannungen, argumentieren warum Wissenschaftsskepsis problematisch ist und welchen Einfluss die Koppelung des Teilsystems Wissenschaft mit der Politik und der Wirtschaft auf ihre öffentliche Wahrnehmung hat. Sie schließen mit einem Plädoyer für einen neuen Umgang der Wissenschaft mit Öffentlichkeiten.

Frau Universitätsprofessorin Dr. Ulrike Felt von der Universität Wien argumentiert in ihrem Beitrag „Zum ambivalenten Verhältnis der Österreicher: innen zu Wissenschaft und Technologie“, dass wissenschaftliches Wissen nicht linear kognitiv erfasst, sondern vielmehr im Zusammenspiel von sozialen Beziehungen, verknüpft mit persönlichen Interessenslagen, vermittelt wird. Wissenschaft ist für sie bis heute nie wirklich in der Alltagskultur angekommen.

Danach zeigt sie auf, wie das System Wissenschaft aus der Pandemie lernen kann. Auch sie plädiert für eine neue Form der Wissenschaftskommunikation, begrüßt die kritische Auseinandersetzung und das Hinterfragen von Entwicklungen als eine Notwendigkeit, um das Ideal einer demokratischen Wissensgesellschaft leben zu können und setzt sich abschließend für eine Veränderung der Beziehung von Politik und Wissenschaft ein.

Doch lesen Sie selbst diese spannenden Essays, die uns auch viel zu einem verbesserten, eigenen Kommunikations- und Diskursverhalten mitgeben können. Mir bleibt nur noch, Ihnen allen eine erhellende Lektüre zu wünschen.

 


[1] Präsentation am Workshop zur Wissenschaftskommunikation, ÖAW, 25.11.2022 in Vienna.

 

Dipl.-Ing. Helmut Leopold, PhD
Präsident der Gesellschaft für Informations- und Kommunikationstechnik im OVE, OVE-Arbeitsgruppenleiter „Social Media“
Head of Center for Digital Safety and Security
AIT Austrian Institute of Technology