Innovation braucht Emotionen: Dieser kulturelle Rahmen fördert "Menschsein"

Gastbeitrag von Andrea König, Business Coach und Bloggerin

Erlebst Du es manchmal auch, das „schlechte Bauchgefühl“ bei gewissen Maßnahmen in Deiner Arbeitsumgebung? Es ist oft nur ein winziges Gefühl, welches sich ganz schwer beschreiben lässt. Falls ja, kommunizierst Du Deine Bedenken oder lässt Du es lieber bleiben, weil sie noch zu unkonkret sind?

Einer Studie zufolge braucht Innovation eine psychologisch sichere Umgebung, in der es möglich ist, Emotionen, Ideen oder kritische Fragen offen zu teilen. Was das Konzept genau bedeutet und welche Hebel es für eine derartige Kultur gibt, erfährst Du in diesem Beitrag.

Früher war nicht alles besser
Kannst Du Dich noch erinnern, als „Dienst nach Vorschrift“ erwünscht war? Der Einstieg bei meinem allerersten Arbeitgebenden sah in etwa so aus: Hier sind Deine To-dos, bitte erledige alles so schnell wie möglich, falls Fragen auftauchen, dann melde Dich gerne. Eigene Ideen? Ja, konnte man gerne mal äußern, wurden aber eher belächelt und recht schnell schubladisiert.

Das Gefühl, in der großen Arbeitswelt nicht viel Wert zu sein, kenne ich also nur zu gut. Das Credo „In jeder Situation professionell sein und sich nichts anmerken lassen“ verinnerlichte ich recht rasch: Man hat zu funktionieren, man ist schließlich in der Arbeit. Emotionen am Arbeitsplatz bitte nur in dosierter Form, und wenn, dann natürlich nur die positiven, alles andere wäre unprofessionell. Dafür gibt’s Familie und Freunde, die dann am Wochenende alle Horror-Stories auf einmal abbekommen.

New Work ist viel mehr als Homeoffice
Kaum zu glauben, aber in der ein oder anderen Form gibt es derartige Unternehmenskulturen auch heute noch. Doch mit dieser Einstellung sind Unternehmen alles andere als gut gerüstet für die Herausforderungen der Zukunft, von New Work möchte ich gar nicht sprechen.

Denn gerade New Work ist viel mehr als Homeoffice oder ein Obstkorb für die Kollegenschaft im Büro. Es geht sehr stark um die Unternehmenskultur, darum, welchen Stellenwert Mitarbeitende einnehmen und ob die Prozesse nach deren Bedürfnissen ausgerichtet sind – oder eben nicht.

Eine „Dienst-nach-Vorschrift“-Kultur kann sich bald kein Unternehmen mehr leisten, wird die Arbeitswelt doch immer komplexer und dynamischer. Heute braucht es vor allem Ideen und Zusammenarbeit, um vorausschauend auf die immer neuen Gegebenheiten reagieren zu können.

Wertschöpfung und Innovation entstehen heutzutage vor allem dann, wenn Menschen all ihre Facetten, persönlichen Erfahrungen, Talente, Visionen etc. wirkungsvoll mit anderen Menschen teilen können. Doch das passiert nicht automatisch, indem man kompetente Mitarbeitende einstellt. Es braucht vielmehr eine Umgebung, eine Kultur, in der sich diese auch trauen, ihre Gedanken, kritische Fragen, Ideen, Bedenken etc. zu äußern.

Die Kultur der psychologischen Sicherheit (Psychological Safety)
Das Konzept, das sich hinter einer solchen Unternehmenskultur verbirgt, nennt sich Psychological Safety. Es wurde von Amy C. Edmondson, Professorin für Leadership & Management an der Harvard Business School, entwickelt.

Ihre Studie beruht vor allem auf Beobachtungen von Teams in Krankenhäusern: Jene Teams, die grundsätzlich gut zusammenarbeiteten, machten mehr Fehler als jene, die nicht so gut aufeinander eingespielt waren. Diese Erkenntnis erschien zuerst vollkommen konträr zu ihren Erwartungen, doch rasch fand sie eine Erklärung für dieses Phänomen: Gut funktionierende Teams zeigten eine höhere Bereitschaft und Offenheit, von Fehlern zu berichten, damit das Team daraus lernen konnte. Die Mitarbeitenden fühlten sich offensichtlich in ihrer Arbeitsumgebung ausreichend psychologisch sicher, um Schwächen und Fehler zu kommunizieren, weil sie keine Abwertung oder Ermahnungen befürchteten.

Psychological Safety meint also eine Arbeitsumgebung, in der Mitarbeitende sich sicher genug fühlen, um erste Ideen zu äußern, ein „schlechtes Bauchgefühl“ zu teilen oder eben Fehler anzusprechen. Sie können sich also als Mensch einbringen, so wie sie sind, ohne diffamiert oder gemaßregelt zu werden.

3 Hebel für eine Psychological Safety Organization
Das Konzept meint aber nicht, dass Beteiligte eines Teams ausschließlich nett zueinander sein müssen und Harmonie herrschen soll. Im Gegenteil: Meinungsverschiedenheiten und konstruktive Diskussionen sind die besten Treiber für Weiterentwicklung und Innovation. Sie brauchen nur einen Rahmen, in dem sie offen angesprochen werden können.

Wie kommt man nun zu diesem Rahmen, also dem Konzept der Psychological Safety? Es gibt 3 Hebel, die eine solche Unternehmenskultur fördern bzw. untergraben können:

  • Führungskräfte/Management
    Führungskräfte können diesen Rahmen aktiv mitgestalten. Sie sind mitunter der wichtigste Hebel für eine Umgebung der psychologischen Sicherheit. Nur, wenn ich keine Angst vor einer etwaigen Kündigung habe, kann ich mich öffnen und meine Befürchtungen, Fehler oder eben auch mein „schlechtes Bauchgefühl“ teilen.
     
  • Role Models/Vorbilder
    Um Veränderungen voranzutreiben, braucht es Vorbilder, die dieses neue Mindset vertreten und vor allem vorleben. Führungskräfte, aber auch Mitarbeitende müssen hier mit positivem Beispiel voran gehen: Wenn sie offen zu ihren Fehlern stehen, Unsicherheiten oder Bedenken kommunizieren, dann gibt dies wiederum anderen Mut, es gleichzutun.
     
  • Wertschätzung
    Eine Kultur der Wertschätzung und Offenheit ist die Basis für jegliche Weiterentwicklung. Wer kritische Stimmen abtut, trägt dazu bei, dass diese Stimmen immer leiser werden und somit auch bald wieder verschwinden. An einer Umgebung der psychologischen Sicherheit muss also stetig weitergearbeitet werden.

Die starke Dynamik unserer Zeit erfordert es, dass Organisationen eine Kultur entwickeln, die Fehler akzeptiert und damit auch Ausprobieren fördert, denn nur so kann Innovation entstehen. Erst wenn es möglich ist, sein „schlechtes Bauchgefühl“ mitzuteilen, ohne dafür angeprangert zu werden, können einzigartige Ideen wachsen.

Mag. Andrea König, BA

Als Soziologin & Business Coach hat sich Andrea König mit ihrem Blog „Karrieregeflüster | Dein Trend-Echo aus der neuen Arbeitswelt“ zum Ziel gesetzt, New Work erlebbar zu machen. Seit über zehn Jahren ist sie bereits im Bereich Human Resources im Umfeld eines Großkonzerns tätig. Dabei hat sie schon zahlreichen Menschen geholfen, sich in der neuen Arbeitswelt entwickeln und entfalten zu können. Ihren Antrieb holt sie sich aus ihrem Gespür für Trends und gesellschaftsrelevante Themen sowie ihrer Empathie und ihrer Leidenschaft für die Arbeitswelt der Zukunft.