Interview mit Valerie Reif

Mit ihren 29 Jahren hat die gebürtige Niederösterreicherin Valerie Reif bereits sehr viel erreicht. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Florence School of Regulation (FSR) beschäftigt sich seit 2018 mit EU-Stromnetzkodizes und dem EU-Paket für saubere Energie.

Ehe es die – wie sie sich selbst beschreibt – „umfassend interessierte“ und „auf eine gesunde Art neugierige“ Absolventin der FH Technikum Wien nach Florenz verschlug, war sie Junior Expertin bei der Technologieplattform Smart Grids Austria. Dort war sie für europäische Angelegenheiten verantwortlich und Teil des Projektmanagementteams von „Integrating the Energy System“, einem Forschungsprojekt zur Interoperabilität des Datenaustauschs im Energiesystem.

Im Gespräch mit Valerie Reif

OVE Fem Aktuell: Frau Reif, wenn man sich Ihren Lebenslauf ansieht, sticht als Erstes ins Auge, dass es Sie offensichtlich immer wieder in die Ferne zieht – gleich nach der Matura ging’s nach Brisbane/Australien und dann weiter nach Frankreich, Studium in Passau/Deutschland mit einem Auslandssemester in Schweden… und derzeit arbeiten und leben Sie in Florenz. Sie erobern quasi von Stockerau aus die Welt! Worin liegt dieser Drang ins Ausland begründet?

Valerie Reif: Ich erobere meine Welt. Ins Ausland zu gehen heißt, sich oft selbst austricksen zu müssen, sich etwas trauen zu dürfen, und sich auf eine andere Version seiner selbst einlassen zu können. Manchmal gelingt es, und manchmal nicht, aber ich glaube, man kommt jedenfalls gestärkt und häufig auch etwas bescheidener zurück nach Hause.

 

OVE Fem Aktuell: Sie haben in Stockerau das Bundesrealgymnasium besucht und sich damals für den Informatikzweig entschieden – welche weiteren Wahlmöglichkeiten gab es und warum gerade Informatik?

Valerie Reif: Die Alternativen waren Latein und Französisch. Und ich dachte schon damals, Französisch lernt man wahrscheinlich am besten im Land selbst und sechs Jahre Latein, naja, das war einfach nicht meins.

 

OVE Fem Aktuell: … das nennt man wohl einen pragmatischen Ansatz! Nach Ihrer Matura nahmen Sie sich ein so genanntes „Gap-Year“ mit Aufenthalten in Australien und Frankreich – es ist dies nicht unbedingt der „herkömmliche“, „geradlinige“ Bildungsweg, den eine Maturantin aufnimmt. Wie kamen Sie auf die Idee? Wer motivierte und unterstützte Sie?

Valerie Reif: Ich habe natürlich das große Glück, Eltern zu haben, die mir das – und viele andere Dinge – ermöglichen konnten. Aber ehrlich gesagt glaube ich, dass die Idee eines „geradlinigen“ Bildungsweges schon während meiner Schulzeit zu bröckeln begonnen hat.

Abgesehen von mir gingen damals zwei meiner drei besten Freundinnen ins Ausland, nach Italien und in die USA. Zwischen meinen eigenen beiden Auslandsaufenthalten bin ich dann zusammen mit der vierten im Bunde nach Italien auf Besuch gefahren.   

 

OVE Fem Aktuell: Mit Ihrer ersten Studienwahl, nämlich „European Studies“ (Universität Passau) fokussierten Sie Politikwissenschaften, die Europäische Union und zusätzlich Französische Kulturwissenschaften. Wie kam danach die Idee, an der Fachhochschule Technikum Wien weiterzumachen und sich für „Urbane Erneuerbare Energietechnologien“ zu inskribieren?

Valerie Reif: Ich wusste schon länger, dass ich die Richtung wechseln wollte. Gleichzeitig wollte ich aber unbedingt meinen ersten Abschluss fertig machen. Die Erneuerbaren sind mir zugegebenermaßen ein bisschen „passiert“. Im Nachhinein habe ich aber wahrscheinlich die beste Entscheidung meines bisherigen Lebens getroffen.

 

OVE Fem Aktuell: Das klingt unglaublich positiv! In wie fern waren Ihnen Ihre Schulzeit – Stichwort „Informatikzweig“ – und der Abschluss von „European Studies“ für das Studium an der FH Technikum Wien hilfreich?

Valerie Reif: Beides war auf unterschiedliche Weise hilfreich. Mit einem fertigen Bachelorstudium in der Tasche war Unialltag nichts Neues für mich, und ich konnte meine gesamte Energie auf die neuen Inhalte verwenden. Und manche der bereits fast vergessenen Inhalte aus der Schulzeit kamen dann im technischen Studium vertiefend wieder.

 

OVE Fem Aktuell: Wie haben Sie Ihre Studienzeit am Technikum Wien in Hinblick auf Gender-Verteilung erfahren? Waren Sie hier als weibliche Studierende allein auf weiter Flur unter männlichen Kollegen?

Valerie Reif: Wir waren fünf Frauen und rund 50 Männer. Aber das war schon zu Schulzeiten so, fünf Mädchen und 25 Burschen. Diese zehn bis fünfzehn Prozent Frauenanteil ziehen sich durch, aber ich muss sagen, dass das manchmal auch Vorteile hatte. Ganz allgemein glaube ich aber schon, dass sich etwas verändert und wir bald mehr Frauen in technischen Bereichen sehen werden.

 

OVE Fem Aktuell: Parallel zu Ihrer Ausbildung waren Sie immer wieder als Praktikantin tätig, u. a. bei Wien Energie, bei der Technologieplattform Smart Grids Austria, bei Oesterreichs Energie und bei Austrian Power Grid. Welche Erfahrungen konnten Sie hier sammeln?

Valerie Reif: Jede einzelne der Stationen war unglaublich bereichernd, Kleinwasserkraftwerksbesuche bei der Wien Energie, sektorenübergreifende Forschungsprojekte bei der Technologieplattform, Brüssel mit allem, was dazugehört, bei Oesterreichs Energie, und dann noch Umspannwerksbesuche und natürlich die Kontrollzentrale bei der APG.

Das hat mir sehr früh einen Überblick über den Energiesektor verschafft, den ich um keinen Preis missen möchte. Dankbar bin ich den vielen Kolleg/innen und Vorgesetzten, die mir aberhunderte Fragen beantwortet haben und von denen ich mit vielen noch immer in Kontakt bin.

 

OVE Fem Aktuell: … und in wie weit waren Ihre persönlichen Netzwerke hilfreich, um Praktikumsstellen zu bekommen und in weiterer Folge Ihre beruflichen Vorstellungen umzusetzen?

Valerie Reif: Bei meinen Praktika hat mir eher geholfen, dass ich bereits etwas älter war, andere Erfahrungen und ein abgeschlossenes Studium mitgebracht habe. Umgekehrt hat natürlich jedes Praktikum und jede Arbeitsstelle zur Erweiterung meines persönlichen Netzwerkes beigetragen.

 

OVE Fem Aktuell: … eine klassische Win-win-Situation sozusagen! Sie sind ja auch eine gerne gesehene Besucherin unserer OVE Fem-Netzwerktreffen, was uns natürlich sehr freut! Muss man aus Ihrer Sicht zum „Netzwerken“ geboren sein oder gab es in Ihrem Fall einen „Knackpunkt“, an dem Sie sich ganz bewusst für Networking-Aktivitäten entschieden haben, um Ihre Ziele zu verfolgen?

Valerie Reif: Wie fast überall im Leben denke ich, dass man einen Teil lernen kann, und einen Teil steuert der eigene Charakter bei. Ich bin bestimmt keine begnadete Netzwerkerin, sondern vielmehr umfassend interessiert und auf gesunde Art neugierig. Das reicht oft aus :-)

 

OVE Fem Aktuell: Seit gut einem Jahr sind Sie nun in Florenz und arbeiten als „Research Associate in the Electricity Area“. Was genau darf man/frau sich darunter vorstellen?

Valerie Reif: Die Arbeit an der Florence School ist einzigartig und basiert auf den drei Säulen Forschung, Policy Dialog und Training. Thematisch ist mein Arbeitsalltag geprägt von den europäischen Netzkodizes oder „European electricity network codes“. Die network codes sind ein insgesamt wahrscheinlich mehrere tausend Seiten umfassendes Paket mit Regeln zur Harmonisierung und Integration europäischer Strommärkte.

Meine Aufgaben sind sehr vielfältig, aktuell geht beispielsweise ein neunwöchiges Training zu den network codes zu Ende, wir arbeiten an einem Buchprojekt und sind in ein europäisches H2020-Forschungsprojekt involviert.

Besonders ist in Florenz die Nähe der akademischen Welt zu den europäischen Institutionen und den für unsere Arbeit relevanten großen europäischen Dachverbänden, mit denen wir auf vielfältige Weise in ständigem Austausch stehen. Das bedeutet für uns Researcher auch große „exposure“ und eine sehr steile Lernkurve.

 

OVE Fem Aktuell: Ich könnte mir vorstellen, dass Sie mit dieser Beschreibung bei vielen Kolleginnen das Interesse geweckt haben, mehr über Ihren Job zu erfahren! Gehen wir nochmals zurück zu Ihrer Schulzeit: Was hat Sie persönlich am meisten geprägt?

Valerie Reif: …ein sehr ehrgeiziger Freundeskreis und extrem unterstützende Eltern. Beides hat ganz wesentlich dazu beigetragen, dass ich Chancen immer nutzen konnte und auch genutzt habe.  

   

OVE Fem Aktuell: Ihr bisheriger Lebensweg ist gekennzeichnet von enormem Wissensdurst und unglaublich viel Energie. Was treibt Sie an und wie finden Sie Ausgleich zu Ihrem beruflichen Alltag?

Valerie Reif: Das Leben hat so viel mehr zu bieten als wir Lebenszeit haben. Aber man kann sich bemühen, das Meiste herauszuholen. Manchmal, indem man die Extrameile geht, und manchmal, indem man sich von der Extrameile erholt – mit einem guten Buch, in einer Yogaklasse, oder neuerdings für mich auch beim Wandern.

OVE Fem Aktuell:Vielen Dank für dieses wirklich interessante Interview, aus dem Ihre sprühende Energie und Ihre positive Lebenseinstellung so richtig herauszuhören sind! Alles Gute für Ihren weiteren Weg!