Sektorenkopplung

Wie wird sie massentauglich?

Photovoltaik-Anlagen erleben derzeit einen beispiellosen Boom. 2022 überschritt der Ausbau der PV-Anlagen in Österreich zum ersten Mal die Gigawatt-Grenze in Bezug auf die hinzugekommene Spitzenerzeugungsleistung.

Tabelle, Photovoltaikboom in Österreich, Quelle BMK

Selbstverständlich ist der rasche Ausbau von erneuerbaren Energiequellen höchst erfreulich. Allerdings gibt es dabei auch einen Haken: Das Energiesystem muss zu jedem Zeitpunkt im Gleichgewicht sein – Erzeugung und Verbrauch müssen sich ausgleichen.

Das heißt, dass eine flexible Anpassung des Verbrauchs an die volatile Erzeugung aus PV und Wind sich auf das Energiesystem günstig auswirken würde. Schon jetzt gibt es am Energiemarkt zeitweise ein Überangebot in den Sonnenstunden, und diese Entwicklung wird sich mit zunehmendem Ausbau auch fortsetzen.

Aktuell werden aber bei Spannungsspitzen Wechselrichteranlagen von Wind- und PV-Kraftwerken vom Netz genommen, wodurch weniger Grüner Strom erzeugt wird als schon heute möglich wäre.

Es gibt relativ wenige Speicherkapazitäten im europäischen Energiesystem (z. B. Pumpspeicherkraftwerke). Der einzige Weg, nachhaltig und in ausreichender Dimension ein temporäres Überangebot von Wind und PV nicht abzuregeln, sondern sinnvoll zu nutzen, ist also den Verbrauch soweit möglich an die volatile Erzeugung anzupassen. Die flexible Lastverschiebung ist damit ein grundlegendes Werkzeug für eine smarte Energiewirtschaft.

Im Projekt cFlex wurde unter anderem erforscht, welche Ergebnisse mit Lastverschiebung erzielt und wie solche Lastverschiebungen technisch umgesetzt werden können.

Auf der Ebene von Haushalten wurden dabei zwei Verbraucher als flexible Lasten identifiziert: Wärmepumpen und Elektrofahrzeuge. Zweitere wurden unter anderem vom Firmenpartner nymea näher betrachtet: Jedes Elektrofahrzeug kann dutzende kWh an Energie speichern. Zudem muss die Ladung nicht sofort nach dem Anstecken beginnen, sondern kann in eine Zeit verschoben werden, in der viel Erneuerbare Energie im Markt erwartet wird, oder bestenfalls gerade vom eigenen Dach kommt.

Tausende Autos stellen somit einen riesigen, verteilten, kollektiven Stromspeicher dar. Was dafür in der Praxis allerdings fehlt, ist die notwendige Konnektivität bzw. Intelligenz, um die beteiligten Sektoren großflächig zu koppeln: EV-Ladestation, Ladekartenbetreiber und Strommarkt sowie die Anbieter und Betreiber von PV-Invertern bzw. PV-Anlagen. Im Kleinen, d. h. eine EV-Ladestation mit einem PV-Inverter zu koppeln, funktioniert das schon und zeigt das Potenzial.

Der Anwendungsfall PV-Überschussladen

Um die Sektorenkopplung zu verwirklichen, werden heute teure und komplizierte Energie-Management-Systeme (EMS) eingesetzt. Das sind Geräte, welche mehrere hundert Euro kosten und meistens vom Elektriker installiert und von Spezialisten konfiguriert werden müssen. Die Gesamtkosten sind also vierstellig.

Zudem wollen sich viele Elektriker nicht damit befassen, da der Aufwand der Installation und Konfiguration beträchtlich ist, und zudem der Aufwand der Kundenbetreuung nach der Installation signifikant steigt.

nymea Sunny Home Manager

Um die Sektorenkopplung – und im speziellen Fall das „Überschussladen“ – in die Breite zu bringen, ist folgender Ansatz zielführend: Die Funktion wird Bestandteil jener Systeme, die ohnehin beim Kunden verbaut sind.

Die meisten Wechselrichterhersteller (und sogar manche innovative Fahrzeughersteller) haben mittlerweile auch Ladestationen im Programm, welche sich relativ einfach in das digitale Ökosystem einbinden lassen, sodass Überschüsse automatisch zum Laden des Fahrzeugs verwendet werden.

Auf der anderen Seite arbeiten auch die Hersteller von Ladeinfrastrukturen daran, eine native Kompatibilität zu den gängigen PV-Systemen herzustellen. Das heißt, dass die Ladestation die Protokolle der gängigen PV-Inverter beherrscht und sich nahtlos in die Steuerung der PV-Anlage eingliedert. Die Notwendigkeit eines externen Geräts entfällt, da die Funktion als Software/Firmware abgebildet wird. Für den Endanwender bzw. den Installateur reichen ein paar Klicks in einer App, um die beiden Produkte zu verbinden.

Sowohl für die ausführende Fachkraft als auch für den Endanwender wird die Kopplung der beiden Sektoren somit ohne zusätzlichen Aufwand möglich. Durch die geringere Hürde und die vermiedenen Installationskosten ist es also viel attraktiver, diese nützliche Funktion tatsächlich einzusetzen. Folglich wird das Thema Überschussladen (oder Energiemanagement im Allgemeinen) massentauglich.

Um diese massentaugliche Lösung zu erreichen, müssen Hersteller allerdings das grundlegende Problem für die „integrierte Sektorenkopplung“ lösen: Alle Geräte (PV-Anlagen, Wärmepumpen, Wallboxen, EV-Ladegeräte, ...) besitzen heute unterschiedliche Schnittstellen und folgen keinem Marktstandard.

Es ist daher eine umfangreiche, zusätzliche Kommunikationsebene vonnöten, um das Zusammenspiel der verschiedenen Produkte zu ermöglichen. Dabei kann allerdings auf ausgereifte Protokoll-Stacks (z. B. www.nymea.energy/b2b) für die Sektorenkopplung zurückgegriffen werden.

Die integrierten Prozessoren in den verschiedenen Produkten sind mittlerweile zumeist auch leistungsfähig genug, um diese Funktionen bereit zu stellen.

nymea, Daten- und Energiefluss

Impact und Skalierbarkeit von Sektorenkopplung

Externe Energie-Management-Systeme (EMS) bieten einen holistischen Ansatz und können als übergeordnetes Energiemanagement technisch mehr Flexibilität bieten als Punkt-zu-Punkt gekoppelte Lösungen. Dennoch werden sich die Geräte durch die hohen Kosten, die technische Komplexität und das mangelnde Fachwissen nicht in der großen Masse durchsetzen.

Wenn allerdings rudimentäre Funktionen wie Überschussladen nativ in die Produkte integriert werden und somit Kosten als auch Know-how als Voraussetzung eliminiert werden, kann diese Lastverschiebung ihre Wirkung in Bezug auf den teilweisen Ausgleich der Volatilität von privaten PV-Anlagen entfalten.

Werden in die Steuerung auch noch die Netzparameter Frequenz und Spannung am Anschlusspunkt mittels Smart Meter eingebunden, ergibt sich auch eine Kopplung mit den Anlagen am gleichen Ortstrafo und – etwas abgeschwächt – auch darüber hinaus.

In den nächsten Jahren werden zunehmend Produkte mit hoher Flexibilität bevorzugt gekauft und speziell gefördert werden, um Stromkosten zu sparen und das Ziel einer zumindest bilanziell CO2-neutralen Energieversorgung zu erreichen.

Das Reagieren auf volatile lokale Produktion (PV und Wind) bzw. auf dynamische Angebote (Spotmarkt, Energiegemeinschaften etc.) wird in Zukunft bei vielen steuerbaren Verbrauchern zum digitalen Leistungsumfang zählen.

Erschließung von Koordination und Flexibilitäten

Eines der Ziele im Forschungsprojekt cFlex besteht darin, lokale Energiequellen über Gebäudegrenzen hinweg effizient zu nutzen und zu erschließen, um den Anteil an Erneuerbarer Energie im lokalen Stromnetz zu erhöhen. Dies soll durch die aktive Steuerung der Energieverbraucher, d. h. die Anpassung ihrer Nutzung, erreicht werden.

Auf der Ebene von Energiegemeinschaften wird ein Gleichgewicht zwischen Verbrauch und Erzeugung angestrebt, d. h. die Differenz soll zu jedem Zeitpunkt minimiert werden. Dies wird mit dem in cFlex entwickelten „Energy Community Controller“realisiert, welcher folgende Optimierungen verfolgt:

  • Verringerung der Lastspitzen durch koordiniertes Lastmanagement basierend auf ausgeklügelten Prognosemethoden, was zu einer Verringerung des Risikos einer Überlastung der lokalen Trafostationen führt, indem ein Gleichgewicht zwischen Stromangebot und -nachfrage in der Energiegemeinschaft angestrebt wird
  • Erhöhung des Selbstversorgungsgrads und der Eigenverbrauchsquote durch die Optimierung der Nutzung Erneuerbarer Energien innerhalb der Energiegemeinschaft, was zu einer Verringerung der Nutzung von externen Energiequellen und einer Senkung der Energiekosten innerhalb der Energiegemeinschaft führt

Die Erschließung von Flexibilität seitens der Verbraucher gelingt aber nur im Rahmen der technischen Machbarkeit, vor allem was die Möglichkeit der Einbindung von Endgeräten in das Lastmanagement anbelangt.

Im Projekt cFlex konnten wertvolle Erkenntnisse zum aktuellen Stand der Umsetzung als auch ein technisches Framework für Energiegemeinschaften mit Integrationsprofilen für die Speichereinbindung und die Reaktion auf externe Signale, z. B. vom Verteilnetzbetreiber, erarbeitet werden.

Letztendlich lässt sich schlussfolgern, dass erst durch eine gemeinschaftliche und über die eigene Grundstücksgrenze hinausgehende Optimierung und Abstimmung von Erzeugung und Verbrauch, wie sie mit dem Energy Community Controllerim Projekt cFlex aufgezeigt wird, das volle Potenzial von erneuerbaren Energiegemeinschaften in Bezug auf die Unterstützung der Energiewende einbringen kann.

Proaktive Verbrauchssteuerung und Multi-Lieferanten-Szenarien, wie z. B. Heißwasser as a Service, HVAC as a Service, EV-Charging bzw. E-Mobilität as a Service, müssen zusätzlich folgen, um die Energiewende hin zu 100 % Erneuerbaren wirklich zu schaffen.

Weitere detaillierte Ergebnisse sind dem in Kürze erscheinenden Endbericht sowie den Publikationen im Zuge des F&E-Projekts cFlex zu entnehmen.

Das Projekt cFlex wurde aus Mitteln des Klima- und Energiefonds gefördert und im Rahmen des Programms „Energieforschung (e!MISSION)“ durchgeführt (FFG Projektnummer 871657). Weitere Informationen zum Projekt sowie den in Kürze folgenden Link zum Endbericht finden Sie unter: https://www.tuwien.at/etit/ict/sis/energyit/projekte/cflex/.

Simon Seres
Simon Seres
Geschäftsführer
nymea GmbH

Simon Seres ist Mitinitiator der Open Source Software nymea und beschäftigt sich seit zehn Jahren intensiv mit der Thematik M2M bzw. Sektorenkopplung.

Stefan Wilker
Dipl.-Ing. Stefan Wilker
Leiter der Energy & IT Group-Projekte
Institut für Computertechnik
Technische Universität Wien