Nutze Erneuerbare Energie, wenn sie zur Verfügung steht

Predictive Control, Demand Side Management, Demand Response

Erneuerbare Energiequellen, insbesondere Sonne und Wind, sind nicht immer gleich (24/7) verfügbar. Um diese volatilen bzw. intermittierenden Energiequellen optimal zu nutzen, sollte sich der Verbrauch zeitlich dorthin verschieben, wo diese Energiequellen den Bedarf bestmöglich decken können. Wann das der Fall ist, zeigt z. B. die stündliche Erneuerbaren-Quote in der nationalen Erzeugung [1]. Dadurch wird nicht nur die CO2-Bilanz verbessert, es wird auch die Auslastung der volatilen Erneuerbaren erhöht und somit der Ausbau finanziell interessanter.

Um den Energieverbrauch effektiv zu verschieben, bedarf es der Vorhersage von Bedarf und Verfügbarkeit [2] oder einer entsprechenden Signalisierung, z. B. per Ampel [3], wenn Vorhersagen individuell nicht möglich bzw. nicht zielführend sind.

Letztlich werden alle Maßnahmen zur Optimierung und Maximierung der erneuerbaren Erzeugung, von der Effizienzsteigerung über Sektorenkopplung und Netzausbau bis hin zu abertausenden privat finanzierten Erzeugungsanlagen und Energiespeichern, zusammenspielen, um eine nachhaltige Energieversorgung aus 100 % erneuerbaren Quellen zu realisieren.

Im Folgenden werden mögliche Beiträge zur Energiewende aus den Bereichen Kundensysteme, Energieverteilung und Energiemarkt kurz umrissen. Entscheidend für den Erfolg ist, dass sich die Entwicklungen in den isolierten Bereichen nicht entgegenstehen oder konkurrieren, sondern mögliche Synergien optimal genutzt werden.

Es braucht schlaue Verbraucher

Wie jeder Überschuss-Einspeiser (z. B. Besitzer einer hinter dem eigenen Smart Meter angeschlossenen PV-Anlage) weiß, ist es besser, einen großen Stromverbraucher, z. B. die Waschmaschine, dann einzuschalten, wenn die Sonne scheint und die PV-Module maximal Strom produzieren.

Mithilfe entsprechender Signalisierung kann diese einfache Weisheit auf größere Bereiche erweitert und über mehrere Ebenen des Energiesystems aggregiert werden: vom Haushalt über Energiegemeinschaften bis hin zu Aggregatoren und Energieversorgern, sowie vom Netzanschluss über den Ortsnetztransformator und die regionalen Verteilnetze bis hin zu virtuellen Kraftwerken und der nationalen Regelenergie.

Tatsächlich ist für den CO2-Fußabdruck von elektrischem Strom entscheidend, zu welchem Zeitpunkt Strom verbraucht wird, wie das Beispiel mit der Waschmaschine klar zeigt. Um den Verbrauch dahingehend großflächiger und weitsichtiger zu verschieben, benötigt der Verbraucher aber die Information, wann es günstiger und wann es weniger günstig ist, Strom zu verbrauchen. Gleichzeitig muss auch die Kapazität des lokalen Verteilnetzes beachtet werden.

Aktive Kunden können ihre Verbraucher z. B. in Abhängigkeit von einem Signal an- bzw. abschalten, smarte Verbraucher können das Signal direkt empfangen und je nach Kundenpräferenzen darauf reagieren. Zur Motivation der Kunden sind variable Strompreise, Netztarife sowie (Steuer-)Abgaben wünschenswert, allerdings muss die Varianz hinreichend groß sein, um großflächig Wirkung zu zeigen.

Aktivere Kunden können ihre Flexibilität aber auch gegen Entgelt dem Netzbetreiber anbieten [4] oder mittels Aggregation (siehe weiter unten) am Regelenergiemarkt zu Geld machen [5].

Smarte Verbraucher mit der Möglichkeit individueller Vorhersagen können proaktiv ihren Energiebedarf verschieben (predictive control). Eher passive, schlaue Verbraucher können zumindest auf ein (Preis-)Signal reagieren (demand response). Steuerbare Verbraucher können aggregiert werden und ferngesteuert als größeres Ganzes am Energiemarkt teilnehmen (demand side management). Auch die Energiekunden können auf ein Signal reagieren und Verbraucher früher oder später einschalten [6], [7].

All das unterstützt effektiv und unmittelbar die Energiewende, wie schon im Newsletter vom 20.9.2023 in Beispielen aufgezeigt wird.

Intelligente Tools helfen

Model Predictive Control (MPC) ermöglicht eine vorausschauende Optimierung, indem die Echtzeit-Steuerung das dynamische Verhalten der gesteuerten Systeme, etwa Latenzen, Trägheit und Einschwingvorgänge, sowie Einflüsse wie etwa Wetterbedingungen und Nutzungsmuster in der Steuerlogik berücksichtigt. Die Zielvorgaben und Steuerparameter werden dynamisch an die aktuellen Bedingungen angepasst, um den Nutzen zu optimieren und gleichzeitig den Ressourcenaufwand zu minimieren.

Mit Hilfe von MPC werden Abweichungen von optimalen Betriebsbedingungen frühzeitig erkannt und die zukünftige Entwicklung und Auswirkung der Abweichung prognostiziert. Dies ermöglicht eine proaktive, vorhersagebasierte Betriebsführung.

Die Qualität der Modellierung des gesteuerten Systems ist jedoch entscheidend für die Performanz der proaktiven Steuerung. Klassisch wird ein mathematisches Modell verwendet, z. B. Markoffketten. Mit Machine Learning kann aber auch die Software die Modellentwicklung übernehmen, und mit Reinforcement Machine Learning (RML) werden die Modelle im laufenden Betrieb kontinuierlich weiterentwickelt und an die sich ständig verändernden Umgebungsbedingungen angepasst.

Wie gut die automatisiert entwickelten Modelle letztlich sind, ist abhängig von Umfang und Qualität der Trainingsdaten und der umfassenden Verfügbarkeit von historischen sowie aktuellen Daten bezüglich aller Faktoren, die das gesteuerte System beeinflussen.

Die RGB-Ampel [3] reduziert die Komplexität der Signalisierung auf die minimal nötige Information: Ist mehr oder weniger Stromverbrauch in diesem Moment für die Energiewende gut oder nicht? Grün bzw. Pfeil nach oben ist gut, Blau bzw. Pfeil nach unten weniger, und ein roter Kreis deutet darauf hin, dass Notmaßnahmen, z. B. Abregelung oder Lastabwurf, in Kraft sind.

RGB-Ampel

Selbstverständlich soll Strom nie verschwendet werden. Wenn aber wegen zu geringer Netzkapazität und zu wenig lokalem Strombedarf erneuerbare Erzeugungsanlagen abgeregelt werden, dann sinken insgesamt die CO2-Bilanz sowie die Auslastung der erneuerbaren Erzeugungsanalagen und die lokale Wertschöpfung.

In dieser speziellen Situation spielt die Effizienz des Stromverbrauchs eine untergeordnete Rolle, weil der Mehrverbrauch zu 100 % CO2-neutral ist und Erneuerbare Energie nutzt, die anderenfalls nicht in Strom umgewandelt werden könnte.

Somit trägt jede durch Signalisierung erreichte kWh mehr an lokaler bzw. regionaler erneuerbarer Energieerzeugung direkt und unmittelbar dazu bei, das Ziel 100 % Erneuerbare zu erreichen.

Aggregation ist ein probates Mittel, um aus vielen kleinen Einheiten eine virtuell viel größere Einheit zu erzeugen, die die Marktzugangsbestimmungen erfüllt; etwa die Erfordernisse des Regelenergiemarktes, mindestens 1 MW an Leistung jederzeit garantiert und anhaltend zu- bzw. wegschalten zu können [8]. So ermöglicht Aggregation die wirtschaftliche Verwertung kleinerer verteilter Ressourcen als virtuelles Kraftwerk am großen Energiemarkt.

Auch Energieverbraucher können aggregiert werden, denn eine Reduktion des Verbrauchs wirkt sich auf das Gleichgewicht von Erzeugung und Verbrauch genauso aus wie die Erhöhung der Produktion, allerdings reduzieren die so genannten „negativen“ Watt zusätzlich die Netzlast und auch den CO2-Ausstoß, wenn dadurch das Hochfahren fossiler Stromerzeugung vermieden wird.

Die Energiewende wird durch Aggregation dahingehend unterstützt, dass auch die Flexibilitäten kleinerer Anlagen in das Management des Energiesystems integriert werden und zur Stabilisierung beitragen [9]. Welche Verbraucher sich für die Fernsteuerung mittels demand side management gut eignen, wurde schon mehrfach aufgezeigt:

Verbraucher mit großem Energiereservoir, bei denen eine kurzfristige Verschiebung des Energieverbrauchs nur geringe bis keine Auswirkungen auf die Nutzer:innen hat. Warmwasserboiler und Raumheizungen sind in diesem Sinn gut geeignet. Neu hinzu kommt das langsame AC-Laden von Elektrofahrzeugen, über Nacht oder tagsüber, immer wenn die Fahrzeuge für viele Stunden abgestellt und an eine Ladestation angesteckt werden.

Auch hierbei werden Nutzer:innen kaum bis keine Nachteile bemerken, wenn der Energiebedarf dynamisch angepasst und somit kurzfristig verschoben wird.

Forschung und Entwicklung – neues Denken

Das Zentrum für Verteilte Systeme und Sensornetzwerke im Department für Integrierte Sensorsysteme der Universität für Weiterbildung Krems erforscht den Einsatz moderner IKT, um smarte Lösungen in bestehende Systeme zu integrieren und um Flexibilitäten von Energieverbrauchern durch Lastverschiebung sinnvoll zu nutzen.

Folgende laufende F&E-Projekte verfolgen dabei spezifische Lösungswege, um die Energiewende in Richtung 100 % Erneuerbare voranzubringen:

DiPS4EV@work fokussiert auf die Integration von EV-Lademanagement- und Energie-Management-Systemen je Gebäude bzw. Betrieb. Das Laden von EVs tagsüber optimiert dabei die Nutzung von PV-Strom, der im Bestfall am Standort direkt erzeugt und sogleich verbraucht wird.

eAlloc hilft in erster Linie EV-Fahrern, auf längeren Strecken eine noch gut erreichbare Ladestation anzufahren. Bei der Berechnung der vorgeschlagenen Lademöglichkeit wird auch auf den CO2-Gehalt des geladenen Stromes geachtet, um auch diesen Kund:innen-Wunsch zu erfüllen.

EnergyDec optimiert den Einsatz des selbst erzeugten erneuerbaren Stromes über Gebäude hinweg, wobei sich Gebäude auch an verschiedenen Orten befinden können, um vom Ausgleich wetterbedingter Unterschiede zu profitieren (active customer, peer-to-peer).

KI4HVACs entwickelt Reinforcement-Learning-Modelle zur Optimierung der Energieeffizienz sowie überwachte Lernmodelle für die vorbeugende Wartung, um ineffizienten Betrieb von HVAC-Anlagen bestmöglich zu vermeiden.

Factories4Renewables zielt darauf ab, die Fertigungsplanung so anzupassen, dass Produktionsprozesse auf die Verfügbarkeit von Erneuerbarer Energie abgestimmt werden. Dazu müssen Produktionsschritte gemäß Energieverbrauch, Strompreis, und Speicherkapazität optimiert werden, um effiziente Betriebsabläufe und Auftragsfristen einzuhalten.

Franzl
Gerald Franzl
Universität für Weiterbildung Krems
Department for Integrated Sensor Systems
Brathukin
Aleksey Bratukhin
Universität für Weiterbildung Krems
Department for Integrated Sensor Systems
Treytl
Albert Treytl
Universität für Weiterbildung Krems
Department for Integrated Sensor Systems