Interview mit Arezoo Edrisian

„Man kann sich selbst treu bleiben und trotzdem erfolgreich sein!“, so die feste Überzeugung von Arezoo Edrisian, die nach ihrem Elektrotechnik-Studium an der TU Wien innerhalb der Kapsch TrafficCom AG eine beachtliche Karriere hingelegt hat und nun die Initiative „Global Operational Excellence“ leitet.

Mit welchen Herausforderungen sie im Laufe ihres Studiums und ihrer beruflichen Laufbahn konfrontiert war und wie sie – vielseitig, wie sie ist – ihre Work-Life-Balance findet, verrät Arezoo Edrisian im folgenden Interview.

Im Gespräch mit Arezoo Edrisian

OVE Fem: Frau Edrisian, Sie wurden in Teheran/Iran geboren und haben in Ihrer Heimatstadt die Schule besucht, in weiterer Folge an der Polytechnischen Universität Teheran die Studienrichtung Elektronik gewählt und schlussendlich an der TU Wien das Studium der Elektrotechnik, Studienzweig Regelungstechnik mit Fächeraustauschmodell Computer- und Informationstechnik absolviert. Gab es bereits während Ihrer Kindheit in Teheran ein gewisses Interesse an Technik oder wurde dieses erst später geweckt?

Arezoo Edrisian: Mit dem Eintritt in die Schule habe ich mehr Interesse für Denkspiele und logische Aufgabenstellungen entwickelt. Auch Konstruktionsspiele und Puzzles waren für mich ein willkommener Zeitvertreib. Erst mit zwölf Jahren habe ich eine Leidenschaft für Mathematik entwickelt, und in der Oberstufe im Gymnasium Mathematik und Physik als Schwerpunkt genommen. Mit zirka 15 Jahren wurde mir dann klar, dass mein Berufswunsch im Technik-Bereich liegt.

 

OVE Fem: … und Sie haben ein Technik-Studium gewählt! Zunächst verbrachten Sie zwei Jahre an der Universität Teheran und dann ging es an die TU Wien. Wie würden Sie Ihr Ankommen in Österreich beschreiben? Mit welchen Herausforderungen waren Sie konfrontiert?

Edrisian: Ich kam im Juli 1989 im Alter von 20 Jahren nach Wien. Das war ein großes Abenteuer. Es gab damals weder Internet noch E-Mail für die allgemeine Bevölkerung. Globalisierung wurde noch nicht in diesem Ausmaß gelebt. Ich denke, die Situation lässt sich gut mit „Alice im Wunderland“ beschreiben.

Für mich war Vieles neu – die Sprache, die Kultur, die Sitten, die Essgewohnheiten etc. ... Ich konnte zwar schon ein wenig Deutsch, trotzdem war es schwierig, verschiedene österreichische Akzente zu verstehen. Und so waren Kommunikation und Integration für mich in dieser Zeit die größten Herausforderungen. Und: Ich war zum ersten Mal weg von meiner Familie und habe sie natürlich sehr vermisst.

 

OVE Fem: Aber Sie haben sich glücklicherweise gut und schnell eingelebt in Österreich. Ihr Studium an der TU Wien haben Sie mit Auszeichnung abgeschlossen und sind bereits ein Monat nach Ihrer Sponsion im Arbeitsleben gestanden. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Jobsuche?

Edrisian: Als ich im Oktober 1995 mein Studium abschloss, hatten viele große Technologie-Unternehmen in Österreich Aufnahmesperre. Sie hatten in den Jahren zuvor wegen guten Wirtschaftswachstums viele neue Mitarbeiter aufgenommen und dann einen Rückgang des Wachstums erlebt.

Ich habe ca. 70 Bewerbungen per Post verschickt, aber nur wenige Vorstellungsgespräche gehabt. Eines der Interviews war bei dem Technologiedienstleister IVM, der mich für ein Projekt zu Siemens vermittelt hat. Nach drei Monaten wurde ich von Siemens übernommen, was in dieser schwierigen Zeit für mich ein Glücksfall war.

 

OVE Fem: Das klingt nach einem guten Berufseinstieg…

Edrisian: Ja, ich hatte eine sehr gute Führungskraft, und das Team war ganz toll. Ich habe als SW-Engineer im Bereich Telekommunikation gearbeitet und mich sehr schnell eingelebt. Nach sieben Monaten wurde ich für das nächste Projekt zur Stellvertreterin des Projektleiters ernannt und konnte Vieles selbstständig abwickeln. Mein Dienststellenleiter soll einmal zu einem Kollegen gesagt haben: „Wir haben eine Perle gefunden“.

 

OVE Fem: Wenn einem so etwas zu Ohren kommt, freut man sich natürlich! Nach zwei beruflichen „Zwischenstationen“ sind Sie bei Ihrem jetzigen Arbeitgeber, der Kapsch TrafficCom AG, offensichtlich im wahrsten Sinne des Wortes „angekommen“: Sie haben innerhalb des Unternehmens eine beachtliche Karriere hingelegt und sind seit Mitte 2017 als „Executive Expert Operational Excellence“ tätig. Was darf man sich darunter genau vorstellen?

Edrisian: Ich leite die Initiative „Global Operational Excellence“ und berichte direkt unserem CEO. Diese Initiative schlägt Brücken zwischen verschiedenen Funktionen und Regionen, um die Herausforderungen der Systemkomplexität in einer wachsenden globalen Organisation mit Fokus auf ein globales Ökosystem anzugehen.

 

OVE Fem: Das klingt sehr interessant und vielseitig…

Edrisian: Ja, Kapsch TrafficCom ist durch Akquisitionen innerhalb der letzten 15 Jahre sehr schnell gewachsen. Wir sind mit mehr als 5.200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in mehr als 30 Ländern auf allen Kontinenten zu einer komplexen Organisation gewachsen. Gerade deshalb ist es wichtig, das richtige Gleichgewicht zwischen globalen Standards und lokaler Flexibilität zu haben, um Wachstum und finanziellen Erfolg zu erzielen. Diese Initiative bietet einen Rahmen, mit dem wir gute Ideen und Praktiken auf globaler Ebene schneller umsetzen.

 

OVE Fem: Wie darf man sich Ihre Arbeit konkret vorstellen?

Edrisian: Ich arbeite mit internationalen und interdisziplinären Teams an globalen Initiativen mit den Schwerpunkten Strategieumsetzung, globale Systemlandschaft, globale Prozesse und Kommunikation. Dabei kann ich sehr viele meiner Fähigkeiten und Interessen einsetzen, und das bereitet mir viel Freude.

 

OVE Fem: Dass Sie für Ihre tägliche Arbeit eine fundierte technische Ausbildung benötigen, liegt auf der Hand. Wie sieht es mit Social Skills aus? Welche dieser Kompetenzen würden Sie an oberster Stelle einordnen?

Edrisian: In meiner Expertenfunktion leite ich mehrere virtuelle Arbeitsgruppen, und das ist eine Art laterale Führung. Social Skills sind hier wesentlich, vor allem um die Menschen zu motivieren, neben ihrer Linientätigkeit freiwillig an bereichsübergreifenden Verbesserungen zu arbeiten.

Besonders wichtig ist es, die Menschen dafür zu begeistern, als Team an gemeinsamen Lösungen zu arbeiten. Des Weiteren ist es sehr wichtig, mit multikulturellen Kollegen zusammen zu arbeiten und Offenheit gegenüber unterschiedlichen Meinungen und Perspektiven mitzubringen.

 

OVE Fem: Berufsbegleitend und mit Bildungskarenz haben Sie ab 2016 eine wirtschaftliche Weiterbildung im Rahmen eines MBA-Studiums absolviert…

Edrisian: Ja, in meinem 20-jährigen Berufsleben hatte ich mich von einer technischen Expertin in Richtung Führungskraft auf einem großen internationalen Fachgebiet weiterentwickelt. Damit konnte ich umfassende Einblicke in die Abläufe eines großen internationalen Konzerns erhalten.

Da ich keine wirtschaftliche Ausbildung hatte, wollte ich die in der Berufstätigkeit gewonnenen Kenntnisse und Fähigkeiten in einem wirtschaftlichen Studium noch weiter vertiefen und entschied mich für ein MBA-Studium mit Schwerpunkt „Entrepreneuership & Innovationmanagement“ an der Donau-Universität Krems. Diese Erfahrung war sehr wertvoll für mich. Mit dem neu erworbenen Wissen und durch den Erfahrungsaustausch mit anderen Experten und Unternehmen konnte ich meinen Horizont erweitern.

 

OVE Fem: Machen wir einen gedanklichen Sprung zurück in Ihre Heimat: Wäre die berufliche Laufbahn, die Sie hier in Österreich genommen haben, auch im Iran für eine Frau vorstellbar?

Edrisian: Oh, ja! Ich habe viele Freundinnen im Iran, die in ihrem Beruf Karriere gemacht haben. In meinem Bekanntenkreis gibt es Unternehmerinnen, Professorinnen und sehr gut dotierte Managerinnen. Und: Als ich im Iran Elektronik studierte, hatten wir im Jahr 1987 einen Frauenanteil von ca. 10 % an der Universität. An der TU Wien lag der Frauenanteil zu Beginn meines Elektrotechnik-Studiums im Jahr 1989 bei nur 1 %. Das hat mich damals sehr überrascht!

 

OVE Fem: Stichwort „Frau und Technik“ – was fällt Ihnen spontan dazu ein?

Edrisian: Ich habe hier in Österreich in meinem Berufsleben die Erfahrung gemacht, dass die Technikkultur sehr männlich geprägt ist. Unausgesprochen scheint Weiblichkeit mit Technikkompetenz im Widerspruch zu stehen. So müssen Frauen in der gesamten Karriere ihre Kompetenz stärker unter Beweis stellen als ihre männlichen Kollegen. Ich glaube, diese Erfahrung teilen viele Frauen!

 

OVE Fem: Sie engagieren sich bei vielen Initiativen für mehr weiblichen Nachwuchs in der Technik und setzen sich auch als Mentorin für junge Damen ein. Welche Empfehlungen für die weibliche Jugend können Sie basierend auf Ihren Erfahrungen aus diesen ehrenamtlichen Tätigkeiten ableiten?

Edrisian: Ich engagiere mich sehr gerne in diesem Bereich, denn ich möchte meine Erfahrungen als Frau in der Technik mit Führungsrolle gerne an Kolleginnen weitergeben, da es meines Erachtens besonders in diesen Bereichen zu wenige „Role Models“ gibt.

Eine wichtige Botschaft für Mädchen ist: Man kann sich selbst treu bleiben und trotzdem erfolgreich sein! Ich finde, wir Frauen sollten uns mehr trauen und an uns glauben. Daher lautet meine Empfehlung: Folge deiner inneren Stimme und glaub‘ an dich!

 

OVE Fem: Sie haben einen vielseitigen und herausfordernden Job – was tun Sie, um die viel zitierte „Work-Life-Balance“ zu halten?

Edrisian: Arbeit ist mein Hobby und Teil meines Lebens. Familie, Freunde und Natur sind die anderen wichtigen Teile. Ich bin fast jedes Wochenende mit meinem Mann in der Natur. Beim Wandern, Nordic Walking, Radfahren oder bei einem langen Spaziergang nutzen wir die Zeit, miteinander zu reden und Energie zu tanken.

Auch Reisen ist ein Hobby: Wir reisen fast jedes Jahr zu einem Ort, den wir noch nicht kennen. Da kann ich auf ganz andere Gedanken kommen, und es eröffnen sich immer wieder neue Perspektiven. Ich lese auch sehr gerne und höre interessante Podcasts und Vorträge. Und: Ich versuche die Kleinigkeiten im Leben zu genießen, ob es ein Kaffee mit einer Freundin oder ein Telefongespräch mit meiner Familie im Iran ist….

 

OVE Fem: Eine abschließende Frage: Gibt es für Sie ein Motto, das Sie sich zur Lebensgrundlage gemacht haben?

Edrisian: Ich glaube an eine höhere Kraft, die wir in uns tragen und sehe mich als Teil einer Gesamtheit in der Welt. Ich versuche, jeder Situation, auch wenn sie unangenehm und schwierig ist, etwas Positives abzugewinnen und daraus zu lernen; wie Gandhi sagte: „Sei du selbst die Veränderung, die Du Dir für diese Welt wünschst.“

OVE Fem:  Das ist ein schönes Schlusswort. Danke für das Interview!