Erfolge und Herausforderungen der ESBS-Branche: Robert Gfrerer im Interview

Österreich spielt in der europäischen Halbleiterlandschaft eine gewichtige Rolle, der Silicon Alps Cluster hat daran als Branchennetzwerk einen nicht unerheblichen Anteil. Die e+i hat mit Cluster-Geschäftsführer Robert Gfrerer über das neue Kompetenzzentrum AT-C3, den European Chips Act und Herausforderungen bzw. Erfolge der ESBS-Branche gesprochen.

e+i:  Am 1. Jänner dieses Jahres ging das österreichische Chips Competence Center AT-C³ unter der Leitung des Silicon Alps Cluster offiziell an den Start. Was sind die Aufgaben dieses Kompetenzzentrums?

Robert Gfrerer: Das Austrian Chips Competence Center AT-C3 ist eines von mittlerweile 29 Zentren in Europa und hat im Wesentlichen drei große Aufgabenbereiche:

Im ersten Bereich ermöglichen wir allen Unternehmen – vor allem KMUs und Start-ups – den Zugang zu der in Österreich und in Europa vorhandenen Expertise, etwa Expertise im Bereich Chipdesign oder -produktion. Dabei geht es z. B. auch um eine aktuell in Entwicklung befindliche Designplattform oder um Pilotlinien, die an mehreren europäischen Standorten aufgebaut werden – derzeit gibt es fünf dieser Pilotanlagen.

Der zweite große Aufgabenbereich umfasst den Zugang zu Skills-Initiativen für alle Unternehmen der Branche. Es gibt europaweit bereits viele dieser Initiativen, mit Green Chips-EDU ist eine davon bei unserem Netzwerk-Partner TU Graz angesiedelt. Das bietet für uns natürlich einen optimalen Anknüpfungspunkt, um uns und unsere Cluster-Partner auch mit anderen Initiativen und Projekten vernetzen zu können.

Im Rahmen des dritten Aufgabenbereichs beschäftigen wir uns mit der Weiterentwicklung des Business-Ökosystems sowie der Schaffung von entsprechender Awareness. [...]

 

e+i: Die Einrichtung von Zentren wie AT-C3 ist Teil der Strategie des European Chips Act. Welche Ziele verfolgt die EU mit dem Chips Act? Sehen Sie möglicherweise Verbesserungsmaßnahmen?

Gfrerer: Das übergeordnete Ziel des European Chips Act ist – im Idealfall – die Verdoppelung der globalen Wertschöpfung Europas in diesem Bereich innerhalb der nächsten zehn Jahre, um Europa im Gesamtumfeld massiv zu stärken.

Formuliert wird im Chips Act unter anderem der Anspruch „First of a kind“ in Europa, der bei der Investition in Infrastruktur eine Rolle spielt. In diesem Sinne sind auch die Entwicklung der Pilotlinien oder andere große Investitionen zu verstehen, die jetzt getätigt werden, etwa in Produktionskapazitäten oder in Technologien, die man bisher vielleicht nur in Asien gehabt hat.

Damit soll es gelingen, mehr Unabhängigkeit von globalen Lieferketten zu erlangen. In Österreich hat jetzt gerade eines unserer Unternehmen einen Schwerpunkt im Bereich Advanced Packaging gesetzt und dort Produktionskapazitäten aufgebaut. Dieser Bereich ist in Europa in der Vergangenheit nicht sehr stark bedient worden.

Generell ist es sehr zu begrüßen, dass es den Chips Act gibt. Natürlich kann man sich immer mehr wünschen, aber man muss auch realistisch bleiben. Ich denke, für unsere Unternehmen, vor allem die kleineren, ist es ein erheblicher Vorteil, dass wir mit den nun geschaffenen Kompetenzzentren vieles unbürokratischer und damit wesentlich einfacher gestalten können. [...]
 

e+i:  Was sind die größten Herausforderungen für den Bereich Electronics and Software Based Systems (ESBS) in Europa? Und wo konnten in den vergangenen Jahren Erfolge gefeiert werden?

Gfrerer: Ich würde gerne mit den Erfolgen beginnen: Vor allem im Bereich der Hochtechnologien durften wir ja in Österreich in der jüngsten Zeit Durchbrüche feiern, etwa die weltweit erste 300-Millimeter-Galliumnitrid-Power-Technologie von Infineon – das hat man in Österreich geschafft , und nicht irgendwo anders auf der Welt.

Vor wenigen Jahren hat ein Österreicher den Nobelpreis für Quantenphysik bekommen, was auch ein deutliches Signal an die ganze Welt ist: Wir sind führend in Technologien, die sehr gefragt sind, und wir sind führend in einigen Forschungsbereichen, weil wir in unserem Land auch die Leute haben, die es dafür braucht.

Natürlich gibt es auch Herausforderungen – eine enorm große ist beispielsweise die Abhängigkeit von globalen Lieferkettensystemen. Problematisch ist auch der seit Kurzem gültige beschränkte Export von KI-Chips aus den USA. [...]
 

e+i:  Der Silicon Alps Cluster wurde 2016 gegründet und vereint rd. 140 Unternehmen und Institutionen. Was sind die wesentlichen Aufgaben des Clusters?

Gfrerer: Die zentrale Aufgabe jedes Clusters ist es, Brücken zu bauen. Brücken zwischen verschiedenen Unternehmen, Brücken zwischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen und auch Brücken für unsere Branche nach Europa – wir sind ja Gründungsmitglied in der Silicon Europe Alliance, in der zwölf der größten Elektronik- und ESPS-Cluster Europas vernetzt sind. [...]

Ähnlich verhält es sich mit unserer Rolle als Innovationsmotor. Innovationen passieren zwar vor allem in den Unternehmen selbst, aber es gibt immer wieder auch Fragestellungen in Zusammenhang mit neuen Technologien, wo Partner gesucht und wir gebeten werden, unsere Fühler nach Interessenten auszustrecken.

Im vergangenen Herbst sind z. B. zwei Firmen auf uns zugekommen – eine produziert Ladestationen für Elektroautos, die andere die entsprechenden Chips. Sie haben Partner für ein regional begrenztes Pilotprojekt gesucht, im Endeffekt sind daran nun elf Unternehmen beteiligt. [...]

Eine weitere wichtige Aufgabe, die wir für unsere Partner erfüllen, ist das Trendscouting. Man erwartet sich von uns als Cluster auch, dass wir unsere Unternehmen über Trendentwicklungen informieren und am Laufenden halten. Und wie man sich vorstellen kann, ist das ein sehr komplexes Thema. Wir verwenden dafür ein Large Language Model und stellen unseren Unternehmen mittels Scraping-Methode und KI qualitativ hochwertige Trendinformationen zur Verfügung.

Robert Gfrerer, Silicon Alps Cluster
"Mit einer Ausbildung in Österreich steht einem die ganze Welt offen."
Geschäftsführer Silicon Alps Cluster

e+i:  Österreich ist Europas Nr. 1 im Bereich der elektronischen Bauelemente – in relativen Zahlen bezogen auf die Größe des Landes –, und die südlichen Bundesländer Kärnten und Steiermark sind das Zentrum der österreichischen Halbleiter- und Elektronikindustrie. Was macht die Region so attraktiv für dieses Technologiesegment?

Gfrerer: Es hat mit Sicherheit mit den Ausbildungsmöglichkeiten zu tun, die unsere technischen Bildungseinrichtungen hier anbieten. Daraus gehen schon seit vielen Jahren hochqualifizierte Absolvent:innen hervor, sei es im Bereich Verfahrenstechnik, Materialwissenschaften, Computerwissenschaften, Elektrotechnik oder Leistungselektronik.

Die Geschichte von NXP – bzw. davor noch Philips – im steirischen Gratkorn geht zum Beispiel auf eine Startup-Gründung in Graz zurück. Philips hat dieses Start-up in den 1990er Jahren übernommen, 2006 wurde der Halbleiterbereich als NXP ausgelagert, heute sind in Gratkorn mehr als 800 Mitarbeiter:innen beschäftigt. Es braucht also eine gewisse Basis, denn wenn man die Leute nicht gehabt hätte, dann hätte man das nicht aufbauen können. [...]

Was ich jungen Menschen in Österreich an dieser Stelle gerne mitgeben würde: In unserem Land kann man sowohl großartige Ausbildungen machen als auch coole Jobs finden – und mit einer Ausbildung in Österreich steht einem die ganze Welt offen, dazu braucht man keine internationale Elite-Universität. Wichtig ist nur, dass Eltern ihren Kindern alle Türen aufmachen und sie auch wirklich das machen können, was sie interessiert. [...]

Das vollständige Interview mit Robert Gfrerer lesen Sie in der neuen Ausgabe unserer Verbandszeitschrift e+i. Als OVE-Mitglied finden Sie die digitale Ausgabe in Ihrem persönlichen Login-Bereich unter "Mein OVE/Mitgliedschaft".