Zwischen Schaltplänen und Spielplätzen

Wie Vereinbarkeit in der Technik endlich realistisch wird

Wenn wir über Frauen in technischen Berufen sprechen, dann bleibt ein Thema fast immer im Schatten: die Frage, wie sich eine anspruchsvolle Karriere in Elektrotechnik, Maschinenbau oder Softwareentwicklung mit dem Familienlebenvereinbaren lässt. In Stellenausschreibungen für Ingenieurinnen wird oft mit Innovationskraft und flachen Hierarchien geworben – selten aber mit kinderfreundlicher Projektlogik oder Care-sensibler Führung.

Als Soziologin, Business Mentaltrainerin und New Work Expertin – und nicht zuletzt als Mutter eines Kleinkinds – beobachte ich diese Lücke mit zunehmender Irritation.

Warum fällt es technischen Branchen so schwer, sich dem Thema Vereinbarkeit ehrlich und systematisch zu stellen? Warum wird es oft als Privatsache abgetan – obwohl es längst ein strukturelles Thema ist, das über Fachkräftesicherung und Zukunftsfähigkeit entscheidet?

Technikberufe denken oft noch in Vollzeit-Vektoren

Ob Elektrotechnik, Maschinenbau oder Embedded Systems: Viele Frauen, die sich in diesen Bereichen durch Ausbildung oder Studium gekämpft haben, erleben spätestens mit der Familiengründung eine Art kulturellen Bruch. Plötzlich passen die Anforderungen des Berufs – unklare Projektzeiten, hohe Mobilität, kaum gestaltbare Übergänge – nicht mehr zu den Realitäten eines Alltags mit Kind.

Laut einer Studie des Kompetenzzentrums Technik-Diversity-Chancengleichheit sind MINT-Frauen besonders häufig von Berufsunterbrechungen betroffen – und deutlich seltener als Männer in Führungspositionen. Das liegt nicht an mangelnder Ambition, sondern an mangelnder Anpassungsfähigkeit vieler Unternehmen. Wenn in der technischen Entwicklung immer noch das Vollzeit-Büro-Ideal als Maßstab gilt, verlieren wir nicht nur Frauen, sondern auch wertvolle Perspektiven.

Ein Paradigmenwechsel wäre machbar – wenn man Vereinbarkeit als Gestaltungsfrage versteht, nicht als Ausnahmezustand.

Warum Gleitzeit allein nicht reicht

Flexibilität ist das große Versprechen moderner Arbeitswelten. Doch gerade in technischen Berufen – von der Produktentwicklung bis zur Inbetriebnahme – bleibt Flexibilität oft ein Lippenbekenntnis. Gleitzeit ja, aber bitte mit 100 %-Verfügbarkeit. Homeoffice nur, wenn keine Werkstattbegehung ansteht. Teilzeit? Kaum möglich, wenn Projektzyklen auf zwölf Monate angelegt sind.

Hier braucht es neue Ansätze: kleinere, modularisierte Aufgabenpakete, klare Verantwortlichkeiten auch im Jobsharing, hybride Teamarchitekturen, in denen Präsenz kein Machtinstrument ist. In einigen Unternehmen der Automatisierungstechnik oder Elektromobilität wird genau das bereits ausprobiert – meist unter dem Radar, meist getragen von Einzelpersonen. Was fehlt, ist der systemische Rahmen.

Wenn technische Abteilungen Vereinbarkeit wirklich mitdenken, entsteht daraus nicht Schwäche, sondern Resilienz – für Unternehmen wie für Mitarbeitende.

Vereinbarkeit beginnt in den Köpfen und bei den Führungskräften

In meinem Umfeld beobachte ich regelmäßig: Viele Frauen übernehmen nicht nur Verantwortung im Job, sondern auch zu Hause – emotional, mental, organisatorisch. Diese doppelte Last wird oft unsichtbar, weil sie als „privat“ gilt. Doch genau hier beginnt Führung.

Unternehmen brauchen Weiterbildungsformate, die Care-Arbeit nicht tabuisieren, sondern in Leadership-Trainings integrieren. Sie brauchen Mentoring für Mütter in technischen Rollen – nicht als Bonus, sondern als Baustein für langfristige Fachkräftesicherung. Und: Sie brauchen mehr Führungskräfte, die Vereinbarkeit vorleben – auch auf Abteilungsleitungsebene, z. B. in Entwicklung, Produktion oder technischer Planung.

Technik ist die Zukunft – aber nur mit Familien im System

Technik ist kein Selbstzweck. Sie soll das Leben besser machen. Umso absurder ist es, wenn genau dieser Bereich ein Lebensmodell bevorzugt, das nur ohne Kinder wirklich funktioniert. In einer Zeit, in der Elektrotechnik-Expertise dringend gebraucht wird – von Energiewende bis Digitalisierung – können wir es uns nicht leisten, Talente durch veraltete Strukturen zu verlieren.

Es wird Zeit, dass technische Branchen sich selbst modernisieren: mit Elternzeitmodellen, die für Ingenieurinnen funktionieren. Mit Führung in reduzierter Arbeitszeit. Mit Teams, in denen Mütter und Väter nicht die Ausnahme, sondern integraler Bestandteil sind.

Vereinbarkeit ist kein Frauenproblem. Es ist ein Zukunftsthema für Unternehmen, die wirklich innovativ sein wollen.

Fazit: Karriere in der Technik – auch mit Kind kein Widerspruch

Vereinbarkeit in technischen Berufen ist möglich – wenn wir sie als strategische Aufgabe verstehen. Du musst dich nicht entscheiden zwischen Schaltplan und Spielplatz, zwischen Entwicklungsprojekt und Elternabend. Du darfst beides wollen. Und Du darfst beides einfordern.

Andrea König
Mag. Andrea König, BA
Soziologin, New Work Bloggerin & Business Mental Coachin

Andrea König ist Soziologin, Business Mentaltrainerin und Gründerin von Karrieregeflüster – dem Blog für New Work mit Haltung.

Sie beschäftigt sich mit psychischer Gesundheit im Arbeitskontext, mit kritischen Perspektiven auf Führung, Vereinbarkeit und systemische Widersprüche in der modernen Arbeitswelt. Neben ihrer Tätigkeit im HR-Bereich eines Großkonzerns schreibt sie über das, was viele nur leise denken – und setzt Impulse, die zum Nach- und Weiterdenken einladen.

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