Positionspapier, veröffentlicht 11/2024
Bis 2030 soll der gesamte Stromverbrauch Österreichs bilanziell aus Erneuerbaren Energien gedeckt werden. Bereits zehn Jahre danach, im Jahr 2040, soll Österreich klimaneutral sein. Damit das gelingen kann, muss das Ausbauziel bis 2030 für die erneuerbare Stromerzeugung deutlich über den 27 Terawattstunden (TWh) liegen, die bisher im Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) verankert sind.
Im Integrierten österreichischen Netzinfrastrukturplan (ÖNIP) wird das erforderliche Ausbauziel mit 39 TWh angegeben. Das bedeutet ein Plus von 19 TWh bei Photovoltaik und von 14 TWh bei Windenergie zwischen 2020 und 2030. Dazu kommen 5 TWh mehr aus Wasserkraft und eine TWh mehr aus Biomasse. Die installierte Kraftwerksleistung in Österreich soll sich bis 2030 auf rund 43 bis 55 GW erhöhen, 2024 liegt diese bei rund 29 GW.
Die Technologien für das Gelingen der Energiewende sind größtenteils vorhanden. Dennoch sind die ambitionierten Ziele aus heutiger Sicht nicht erreichbar. Es fehlen die geeigneten Rahmenbedingungen für einen zügigen Netz-, Speicher- und Erneuerbaren-Ausbau, eine umfassende Digitalisierung und vielfach auch die notwendigen Fachkräfte.
Im Folgenden werden jene Maßnahmen dargestellt, die aus Sicht des OVE Österreichischer Verband für Elektrotechnik dringend umgesetzt werden müssen, um der Energiewende zum Erfolg zu verhelfen, unsere Versorgungssicherheit weiterhin zu gewährleisten und einen starken Wirtschaftsstandort zu sichern.
Mit dem massiven Ausbau der Erneuerbaren Erzeugungsanlagen steigen die Anforderungen an die Netzinfrastruktur sowie der Bedarf an Speichermöglichkeiten erheblich. Bei hohen Anteilen von Strom aus volatilen Energiequellen (Photovoltaik, Windkraft) ist die Elektrizitätsaufbringung hohen Schwankungen unterworfen. Erzeugungsspitzen im Sommer sowie Verbrauchsspitzen bei gleichzeitig niedriger Erzeugung im Winter machen wesentlich mehr Flexibilität und Speichermöglichkeiten notwendig, um diese auszugleichen.
Fällt eine Energiequelle weg – etwa durch Windstille oder bei Dunkelheit – so hat dies große Auswirkungen auf das Gesamtsystem.
Eine erfolgreiche Energiewende setzt daher voraus, die einzelnen Systeme in ihrer Gesamtheit und in ihrem Zusammenspiel zu betrachten. Eine integrierte Ausbauplanung muss die Produktions- und Verbrauchsziele mit einer entsprechenden Speicher- und Netzausbaustrategie verbinden, d.h. Erneuerbare Anlagen und das Stromnetz müssen unter Berücksichtigung der notwendigen Flexibilitäten koordiniert ausgebaut werden.
Als Richtschnur dafür gilt der österreichische integrierte Netzinfrastrukturplan ÖNIP. Dieser ist als Grundlagenpapier laufend weiterzuentwickeln.
Um die Klimaziele zu erreichen, ist ein zukunftsfittes Regulierungsumfeld notwendig. Der Ausbau und die Digitalisierung der Energieinfrastruktur müssen oberste Priorität haben. Es gilt, Planungs- und Genehmigungsverfahren massiv zu beschleunigen. Dafür braucht es ausreichend Ressourcen in den Behörden.
Die EU-Richtlinie für erneuerbare Energie (RED III) sieht Beschleunigungsgebiete für Erneuerbare Energie sowie schnellere und einfachere Verfahren beim Netzausbau vor, außerdem die Festlegung, dass Erneuerbare im überragenden öffentlichen Interesse liegen.
Der OVE fordert eine rasche nationale Umsetzung der RED III durch entsprechende Gesetze und Verordnungen:
• Ein rascher Beschluss des Elektrizitätswirtschaftsgesetzes (ElWG) ist für die Planung, den Ausbau und die Integration von Erneuerbarer Energie in das Stromnetz unverzichtbar.
• Dasselbe gilt für das Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz (EABG): Die darin vorgesehenen Vorgaben für die Energieraumplanung sowie One-Stop-Shops für Erneuerbare Energie Projekte, die keiner Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) unterliegen, können Genehmigungsverfahren vereinfachen und beschleunigen.
• Zusätzlich ist es notwendig, das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) an die tatsächlichen Anforderungen (vgl. ÖNIP) anzupassen.
• Gesetzlich verankert werden sollte außerdem ein Vorrang für europäische Bauteile, Produkte und Dienstleistungen. Neben den positiven wirtschaftlichen Effekten geht es hier vor allem um eine europäische Technologiesouveränität und die Stärkung europäischer Standards.
Digitalisierung und Künstliche Intelligenz sind Schlüsseltechnologien für unser zukünftiges Energiesystem. Für eine entsprechende Umsetzung ist es notwendig, die Mittel dafür als Investitionskosten (CAPEX) anzuerkennen. Ein besonderes Augenmerk gilt n diesem Zusammenhang auch der Cyber-Sicherheit.
Eine mehrheitsfähige politische Willensbildung ist die Grundvoraussetzung für die Umsetzung der notwendigen Maßnahmen, die ein Gelingen der Energiewende ermöglichen. Die Akzeptanz für Infrastrukturprojekte, aber auch den erforderlichen Datenaustausch ist nur durch einen intensiven Dialog, bewusstseinsbildende Maßnahmen sowie partizipative Verfahren erreichbar.
Es gilt, die Menschen aktiv an der Energiewende zu beteiligen. Über Energiegemeinschaften oder eine PV-Anlage für den Eigenbedarf werden sie zu aktiven Teilnehmenden am Energiemarkt.
Gleichzeitig braucht es ein Bewusstsein auf Seiten der Verbraucher:innen, um – gemeinsam mit innovativen Technologien – eine höhere Energieeffizienz zu erreichen. Partizipative Lösungen wie etwa Demand-Side-Management können hier einen wichtigen Beitrag leisten.
Strom ist ein wertvolles Gut. Es gilt, die Bevölkerung mit transparenten und nutzerfreundlichen Lösungen für ein nachhaltiges Energiesystem zu begeistern. Variable Stromtarife können hier attraktive Anreize schaffen, indem sie netzdienliches Verhalten belohnen.
Elektromobilität ist ein wesentlicher Teil der Energiewende und wichtiger Hebel bei der CO2-Reduktion. Zwar bedingt sie einen weiteren Anstieg des Strombedarfs, gleichzeitig kann sie aber auch zur Erhöhung der Flexibilitäten im Stromnetz beitragen.
Um der Elektromobilität langfristig zum Erfolg zu verhelfen, gilt es, gesetzliche Hürden zu beseitigen und geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, etwa durch einen flächendeckenden Ausbau der notwendigen Ladeinfrastruktur.
Die Möglichkeiten für Laden mit hohen Leistungen an öffentlichen Orten müssen erweitert werden, außerdem braucht es einfachere Genehmigungsverfahren für Schnellladestationen in Mehrparteienhäusern.
Kundenfreundliche Bezahlsysteme an öffentlichen- und halböffentlichen Ladestellen tragen ebenso zum Erfolg von Elektromobilität bei. Eine Umstellung der Abrechnungsmodalitäten von Ladedauer auf tatsächlich geladene Energie ist daher möglichst rasch umzusetzen.
Als mobile Speicher können Elektrofahrzeuge Flexibilitätsdienstleistungen im Energiesystem der Zukunft anbieten. Der OVE unterstützt daher eine rasche Schaffung der erforderlichen Rahmenbedingungen für bidirektionales Laden.
Technisch ist dieses bereits möglich, regulatorisch sind jedoch noch offene Punkte zu klären. Damit Fahrzeughalter nicht nur von zu Hause aus, sondern auch an anderen Orten Energie ins Netz einspeisen können, ist zudem eine umfangeiche Digitalisierung der Netze erforderlich.
Der Fachkräftemangel ist eine große Herausforderung für die gesamte Energiebranche und gefährdet die Umsetzung der Energiewende. Besonders dringend benötigt werden Elektrotechniker:innen mit Schwerpunkt Energietechnik.
Enorm gefragt sind außerdem Mitarbeiter:innen im Bereich IT-Systems & Security, denn die Energiewende macht intelligente Netze mit digitalen Schnittstellen notwendig.
Unternehmensinterne Weiterbildungen und die Qualifizierung von Mitarbeiter:innen für neue Aufgabenbereiche sind durch entsprechende Maßnahmen im Bildungssystem zu ergänzen. Neue Angebote zum Thema „Erneuerbare Energien“ dürfen die notwendigen grundlegenden Kompetenzen (Elektrotechnik!) allerdings nicht verdrängen, vielmehr sollen sie diese ergänzen.
Es gilt, die Angebote im Bereich Energietechnik zu stärken und vor allem das große Potenzial bei weiblichen Fachkräften zu nutzen. Um mehr Personen für eine fundierte Ausbildung in diesem Bereich zu gewinnen, braucht es eine breite Mobilisierung sowie intensive Kommunikationsmaßnahmen.
Ein Stromnetz, das nicht leistungsfähig genug ist, ist teuer. Das Übertragungsnetz stößt zunehmend an seine Belastungsgrenzen und muss schon heute immer öfter im Grenzleistungsbereich betrieben werden.
Netzengpässe müssen durch koordinierte Notmaßnahmen (sogenanntes Engpassmanagement) behoben werden. Der Bedarf an solchen Notmaßnahmen hat sich in den vergangenen Jahren massiv erhöht. Allein 2023 betrugen die Redispatch-Maßnahmen, die das Stromnetz in Österreich vor Überlastung schützen, rund 140 Millionen Euro. Bezahlt werden diese steigenden Kosten von den Stromkund:innen – also von uns allen.
Vermeidbar sind diese Kosten nur durch einen entsprechenden Netzausbau. Somit ist dieser die effektivste und volkswirtschaftlich günstigste Möglichkeit, ausreichend Flexibilitäten im Gesamtsystem zu schaffen.
Die Verzögerung des Netzausbaus ist aber nicht nur enorm teuer, sie ist auch eine Gefahr für die Versorgungssicherheit. Sie verunmöglicht das Gelingen der Energiewende, indem sie den Netzanschluss von Erneuerbaren Erzeugungsanlagen behindert und die Dekarbonisierung der Industrie erschwert.
Nur ein starkes und intelligentes Stromnetz kann die Integration von volatilen Erneuerbaren Energien gewährleisten und gleichzeitig die Versorgungssicherheit sicherstellen.
OVE Österreichischer Verband für Elektrotechnik
Mag. Cornelia Schaupp
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Der OVE Österreichischer Verband für Elektrotechnik ist eine moderne und unabhängige Branchenplattform und gestaltet die Entwicklung der Elektrotechnik und Informationstechnik in Zeiten des digitalen Wandels aktiv mit. Der OVE vernetzt Wissenschaft und Forschung, Wirtschaft, Energieunternehmen sowie Anwender:innen und fördert mit zahlreichen Weiterbildungsangeboten den Erfolg der Branche. Als elektrotechnische Normungsorganisation und mit seinen weiteren Kerngebieten Zertifizierung und Blitzforschung vertritt der Verband die österreichischen Interessen offiziell in internationalen Gremien.